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Kein Leben ohne Pilze

29. August 2023, Nadja In-Albon

Das ewige Missverständnis

«Vitalpilze? Meinst du Magic Mushrooms?» oder «Sind nicht fast alle giftig?». Solche Fragen bekommt man als Mykotherapeut*in oft zu hören. Pilze sind für die meisten Europäer*innen als halluzinogene Substanzen oder primär als Nahrungsmittel – meistens in Form des vertrauten Champignons oder Shiitake – bekannt. Oder eben als mystisches, giftiges Geschöpf, das man nicht wirklich einordnen kann. Die Hemmschwelle eine Kapsel mit auserlesenem Vitalpilzpulver- oder Extrakt zu schlucken, ist leider nach wie vor gross. Pilze sind in Wahrheit so viel mehr als wir auf den ersten Blick sehen und sind wahre Wunderwerke! Nicht nur für uns Menschen und Tiere, sondern für das ganze Ökosystem.

Weshalb sind Pilze für das Leben auf der Erde verantwortlich?

Früher wurden Pilze den Pflanzen zugeordnet. Heutzutage haben sie – nebst der Pflanzen- und Tierwelt – ihr ganz eigenes Reich und das, obwohl man im Mittelalter noch glaubte, Pilze seien keine Lebewesen. Unterdessen weiss man, dass Pilze keine Photosynthese-Pigmente besitzen, sondern ihre Nahrung aus lebenden und toten Organismen beziehen.

Nach der letzten Eiszeit waren es die Pilze, welche unserem Planeten neues Leben einhauchten. Mikroskopisch kleine Pilze wie auch Bakterien besiedelten die Erde, wobei Pilze sich ernährten, indem sie Mineralien aus den Steinen abbauten. Pilzsporen geben eine Säure frei, welche in der Lage sind, riesige Gesteinsbrocken zu zersetzen und in Erde umzuwandeln. So erschaffen Pilze fruchtbaren Boden, auf welchem neues Leben entstehen kann.

Genau dieser Prozess ist auch heute essenziell für unsere Wälder – unsere Natur allgemein: So spielen Pilze eine elementare Rolle bei beispielsweise, der Humusbildung als Abbauorganismus, bei der Nährstoffaufnahme der Bäume und Sträucher, im Zusammenhang mit der Stressresistenz der Bäume und als wichtige Nahrungskette von Kleinsäugern und Insekten.

Der Forscher Ian Thomas Baldwin entdeckte in den letzten zehn Jahren eine Art unterirdischen Kommunikationskanal zwischen Pflanzen, der bis zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt war. Durch die sogenannten Mykorrhizen stehen die Wurzeln der meisten Pflanzen miteinander in Verbindung. «Über der Erde herrscht Kapitalismus. Unter der Erde aber regiert ein soziales Netzwerk – für eine gegenseitige Unterstützung bei Knappheit», so Baldwin.

Mycelium als Kommunikationskanal

Ein Pilz besteht aus seinem Fruchtkörper und dem Myzelium. Der Fruchtkörper ist sichtbar und bei Speisepilzen der essbare Teil. Das Myzelium befindet sich unter der Erde und setzt sich aus einem Geflecht aus Hyphen - fadenförmigen Zellen von Pilzen, die der Wasser- und Nährstoffaufnahme dienen - zusammen. Die Zellwand der Hyphen besteht aus Chitin; ein festes Material, das bei Insekten auch im Exoskelett vorkommt. Der lebende Inhalt der Zellen (Zytoplasma) fliesst durch die Hyphen hindurch und ermöglicht so den Transport von Wasser und Nährstoffen im Pilzorganismus. Sie geben bei ihrer besonderen Art sich zu ernähren bestimmte Säuren und Proteine an ihre Umgebung ab. Auf diese Art wird das organische Material, auf dem der Pilz sitzt, zersetzt. Die dabei entstehenden Nährstoffe werden vom Pilz wieder aufgenommen.

Dank der Verzweigungsmöglichkeit kann der Pilz sich ausbreiten und eine Interaktion mit anderen Organismen – wie z.B. die Mykorrhiza-Symbiosen mit Pflanzenwurzeln – wird möglich. Es wird behauptet, dass dadurch Bäume untereinander vernetzt und somit kommunizieren können (wood wide web). Beispielsweise können Warnsignale an andere Bäume gesendet werden, um vor Insektenbefall oder anderen Gefahren zu warnen. Die noch schwachen Sämlinge können mit Hilfe der Pilzbahnen mit nötigen Ressourcen versorgt werden.

Für sein riesiges Myzelium berühmt ist der Hallimasch (Armillaria ostoyae), der als grösster bekannter Organismus der Welt gilt. Man schätzt, dass dieses einzelne Hallimasch-Myzelium bereits seit Tausenden von Jahren existiert und sich über eine Fläche von rund 9,65 Quadratkilometer in Oregon (USA) erstreckt. Das entspricht einer ungefähren Grösse von 1352 Fussballfelder!

Mykorrhiza-Symbiose

Riesige Mengen von Kohlenstoff aus der Luft wird von den Pflanzen in den Boden gepumpt. Dort wird er von den Pilzen aufgenommen, was Auswirkungen auf das Klima hat. Korrekter ausgedrückt gewinnen nicht die Pilze selbst diesen Kohlenstoff, sondern die sogenannte Mykorrhiza. Eine faszinierende Lebensgemeinschaft zwischen Pflanzen und Pilzen!

Der Begriff Mykorrhiza kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt «verpilzte Wurzel». Eine Mykorrhiza ist demzufolge eine Baumwurzel, die von einem Mykorrhizalpilz besiedelt ist und mit einem dichten Mantel die äussere Feinwurzel umwickelt. Nebst bekannten Speisepilzen wie Trüffel oder Steinpilzen, zählen auch die giftigen Fliegen- oder Knollenblätterpilze zu den Mykorrhizalpilzen. Viele sind an ganz bestimmte Baumarten gebunden und tauschen Nährstoffe aus. Während der Baum das Photosynthese Produkt Zucker an den Pilz abgibt, erhält er von diesem im Gegenzug verschieden Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor, die der Pilz mit den feinen Pilzfäden aus den kleinsten Bodenporen aufgenommen hat. Pflanzen, welche in einer solchen Verbindung leben, weisen eine erhöhte Toleranz gegenüber verschiedenen Stressfaktoren auf. Will heissen, dass diese Bäume weniger frostanfällig sind und sich besser gegen krankheitserregende Bodenorganismen schützen können.

Einen Teil der Kohlenstoffverbindungen, die die Pilze von Pflanzen bekommen haben, benötigen sie für ihren eigenen Energiestoffwechsel, den sie durch das Verbrennen dieser Verbindungen aktivieren. Dabei wird CO2 freigesetzt. Das übrig gebliebene nutzen die Pilze als Baumaterial, um ihr Fadennetzwerk auszudehnen. Zusätzlich werden klebrige Ausscheidungen produziert, mit denen der Boden stabilisiert wird. Bisweilen ist noch zu wenig erforscht, ob Teile des Kohlenstoffs durch die ganzen Prozesse langfristig in der Bodenstruktur gebunden bleiben oder doch wieder in die Atmosphäre gelangen, sobald die Pilze sterben und abgebaut werden. Deshalb ist auch noch nicht klar, ob und wie genau Pilze zur Kohlenstoffspeicherung gezielt genutzt werden können. Sicher ist jedoch, dass die Menschen besser auf die Natur, den massiven Fungizid Einsatz, aber auch auf die Flächenversiegelungen u.Ä. achten müssen! Auch die unterirdischen Ökosysteme gilt es dringend besser zu schützen!

Verschiedene Pilzgruppen und deren Aufgaben

Zusammengefasst unterscheidet man bei den Aufgaben der Pilze zwischen folgenden «Sorten»:
unterschiedlichen Ebenen arbeiten.

Symbiose Pilze

Unter Symbiose Pilze versteht man – wie im oberen Teil erwähnt – die Mykorrhiazpilze, welche mit ihrem Myzel (Fadengeflecht) eine Lebenspartnerschaft mit Bäumen oder anderen Pflanzen im Wald eingehen. Der Informationsfluss wird dank diesem Fadengeflecht zwischen den Pflanzen und dem umgebenden Ökosystem geregelt. Dieses gibt den Pflanzen fast alle Mineralien aus dem Boden weiter. Als Gegenleistung bekommen die Pilze Glukose (Zucker) aus der Photosynthese.

Saprophytische Pilze

Als zweitgrösste Pilzgruppe folgen die saprophytischen Pilze. Auch Folgezersetzer genannt. Wie der Name schon erahnen lässt, besteht deren Aufgabe daraus, totes organisches Material als Nahrungsquelle zu verwenden und Humus daraus zu machen. So wird der Nährstoffkreislauf erhalten, Inhaltsstoffe wieder in die Landschaft gespeist. Die Lignin abbauenden Pilze, die für das Zersetzen der Holzsubstanz zuständig sind, sind besonders wichtig.

Parasitische Pilze

Der parasitische Röhrling gehört als Beispiel zur dritten Gruppe, die parasitischen Pilze. Diese kann man durchaus als Zerstörer betrachten. Doch durch die Schädigung der Bäume gibt es eine neue Dynamik im Waldökosystem. Durch das Schädigen oder gar Absterben gewisser Bäume entstehen kleine Lücken im Wald, in denen sich neue Pflanzen ausbreiten und etablieren können, die allenfalls besser an die veränderten Umweltbedingungen angepasst sind.

Pilze in neuen Rollen

Nebst ihren unabdinglichen Aufgaben in der Natur, der Rolle als Nahrungsmittel (inkl. Schimmelpilze für die Käseherstellung und Hefe mit deren Anwendungsgebieten) und Nahrungsergänzungen (Vitalpilzprodukte), haben Pilze noch zusätzliche Gebiete, auf denen sie ihren Beitrag für uns Menschen leisten. Im Alltag sind sie präsent in den folgenden, teils unerwarteten Bereichen wie Waschpulver, Papier, Medikamente wie Antibiotika, Blutdrucksenker und Vitamine oder Biotreibstoff. Alles Bereiche, welche mithilfe von Pilz-Biotechnologie hergestellt werden.

Extrahiertes Penicillin aus einem Schimmelpilz, welches als erstes Antibiotikum gilt, wurde im Jahr 1928 vom schottischen Bakteriologen Alexander Fleming entdeckt. Nach wie vor werden Pilze dazu verwendet, um pharmazeutisch wirksame Stoffe herzustellen.

Dämmmaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zellulose und Holzweichfaser etablierten sich bereits seit der 90er Jahre in der Baubranche. Eine selbstwachsende Alternative zu nachwachsenden Rohstoffen aus Myzelien ist noch in Entwicklung. Diese fadenförmigen Zellen werden mit landwirtschaftlichen Nebenprodukten wie Maisstroh oder Getreidehalmen kombiniert und fünf bis sieben Tage in einem dunklen Raum zu einem Wurzelgeflecht herangezüchtet. Das Myzel verwertet die Erntereste, wobei die Stoffe zu einer Struktur gedeihen, die einer kleberartigen Masse ähnelt. Myzel wirkt gewissermassen wie ein sich selbst reproduzierender Leim, der verschiedene Arten von natürlichen Produkten bindet. Quelle: ALLPLAN Deutschland GmbH

Mit Sicherheit werden uns die Pilze in den kommenden Jahren noch viele weitere gewinnbringende Erkenntnisse offenbaren und uns hoffentlich unterstützen, der Natur besser Sorge tragen zu können.

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