Zwischen Reizflut und Rückzug – wie ADHS das innere Gleichgewicht beeinflussen kann.
ADHS gilt nicht nur als Aufmerksamkeitsstörung, sondern als komplexe neurobiologische Entwicklungsstörung, bei der Veränderungen im Nervenwachstum, chronische Entzündungsprozesse und eine gestörte Darm-Hirn-Achse eng miteinander verknüpft sind. Wenn diese Belastungen über längere Zeit anhalten, können sich Symptome verstärken – und auch die Stimmung kann darunter leiden.
Untersuchungen verschiedener Fachrichtungen zeigen, dass bestimmte Gruppen bioaktiver Stoffe in diesen biologischen Prozessen eine Rolle spielen. Dazu zählen sekundäre Pflanzenstoffe, Omega-3-Fettsäuren, präbiotische Ballaststoffe sowie spezielle Pilzverbindungen wie Beta-Glucane.
Wie diese Mechanismen im Körper zusammenspielen, welche Funktion die einzelnen Stoffgruppen in der Forschung einnehmen und wie sie über die Ernährung aufgenommen werden können, beleuchtet dieser Beitrag.
Was passiert im Gehirn?
Bei ADHS arbeitet das Gehirn in mehreren Bereichen anders als bei Menschen ohne diese Ausprägung. Im präfrontalen Cortex – zuständig für Planung, Aufmerksamkeit und Impulskontrolle – kann die Reifung verzögert sein. Auch das Striatum, wichtig für Motivation und Belohnungsverarbeitung, zeigt mitunter eine geringere Aktivität. Im Kleinhirn, das Bewegungen und Denkprozesse koordiniert, finden sich ebenfalls Unterschiede. Diese Merkmale treten individuell verschieden auf.
Auf Botenstoffebene werden in Studien insbesondere Dopamin und Noradrenalin genannt. Beide unterstützen die Filterung von Reizen, die Aufrechterhaltung von Motivation und die Verstärkung von Belohnungssignalen. Veränderungen in ihrer Verfügbarkeit oder Weiterleitung können die Konzentration erschweren und die Zielorientierung beeinträchtigen. Zudem kann die Fähigkeit des Gehirns, neue Verbindungen zu bilden und bestehende zu festigen (Neuroplastizität), in manchen Regionen weniger effizient sein. Dies wird unter anderem mit einer geringeren Menge des Wachstumsfaktors BDNF in Verbindung gebracht, der in der Forschung im Zusammenhang mit dem Aufbau und der Stabilisierung von Nervenzellverbindungen beschrieben wird.
Immer wieder werden stille Entzündungen im Nervensystem beschrieben, die die Signalübertragung und den Aufbau neuer Synapsen beeinträchtigen können. Stresshormone wie Cortisol wirken in diesem Zusammenspiel wie ein Verstärker und belasten das Nervensystem zusätzlich. Über längere Zeit entsteht so ein Geflecht, das Symptome von ADHS verstärken und die seelische Balance ins Wanken bringen kann.
Die Darm-Hirn-Achse – wenn das Mikrobiom mit dem Gehirn spricht
Der Darm ist neben seiner Verdauungsfunktion ein zentrales Kommunikationsorgan, das ständig im Austausch mit dem Gehirn steht. Über ein dichtes Netzwerk aus Nervenfasern, chemischen Botenstoffen und Immunreaktionen sendet und empfängt er Signale, die Stimmung, Konzentration und sogar Stressreaktionen beeinflussen können. Dieses System wird als Darm-Hirn-Achse bezeichnet.
Eine zentrale Rolle spielt dabei das Mikrobiom, die Gesamtheit der Billionen von Bakterien, die unseren Darm besiedeln. Diese Mikroorganismen produzieren eine Vielzahl bioaktiver Stoffe – darunter kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat, Propionat und Acetat. Diese wirken nicht nur lokal entzündungshemmend, sondern beeinflussen auch die Blut-Hirn-Schranke, die Neurotransmitterproduktion und die Aktivität des Immunsystems. Ein vielfältiges und ausgewogenes Mikrobiom wird in Studien im Zusammenhang mit einer gesunden Signalübertragung zum Gehirn untersucht. Gerät das Mikrobiom jedoch aus dem Gleichgewicht – etwa durch unausgewogene Ernährung, chronischen Stress oder unregelmässigen Schlaf – kann das die Signalübertragung zwischen Darm und Gehirn stören. Ein dauerhaftes Ungleichgewicht kann Konzentration und innere Ruhe ins Wanken bringen – und auch die seelische Balance belasten.
Besonders lösliche Ballaststoffe tragen dazu bei, dass sich «gute» Bakterien im Darm wohlfühlen. Sie werden im Dickdarm vergoren, wobei Stoffwechselprodukte entstehen, die Nervenzellen und Immunfunktionen beeinflussen können. Eine regelmässige Zufuhr über den Tag verteilt sowie feste Essensrhythmen schaffen eine Grundlage für Stabilität. So wird nicht nur die Verdauung unterstützt, sondern auch ein Rahmen, der Aufmerksamkeit, Motivation und emotionale Ausgeglichenheit begünstigen kann.
Lifestyle-Faktoren – wie Schlaf, Stress, Bewegung und Ernährung ADHS beeinflussen
Bei ADHS reagieren Gehirn und Nervensystem besonders sensibel auf den Lebensstil.
Schlaf ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren: Unruhiger Schlaf kann die Konzentration erschweren, die Impulsivität verstärken und das innere Gleichgewicht ins Schwanken bringen. Schlaf stabilisiert Gedächtnisprozesse und reguliert Entzündungsmarker sowie Stresshormone. Empfehlenswert sind feste Zeiten, ein dunkler, kühler Raum und ein Puffer ohne Bildschirmlicht ab etwa 22.00 Uhr. Kurze Einschlafrituale mit wiederkehrender Abfolge erleichtern die Umstellung vom Aktivitäts- in den Ruhemodus. Koffein am späten Nachmittag sowie schwere Mahlzeiten unmittelbar vor dem Zubettgehen werden möglichst vermieden.
Stress legt sich oft wie eine zusätzliche Last auf die Symptome und kann sie fühlbar verstärken. Dauerhaft erhöhte Cortisolspiegel können die Signalübertragung im präfrontalen Cortex schwächen und entzündliche Prozesse im Gehirn fördern. Stressmanagement entlastet die Neuroendokrinologie, also das Zusammenspiel von Nerven- und Hormonsystem. Kurze Atemübungen, ruhige Ausatemphasen und angeleitete Entspannungseinheiten senken die innere Anspannung. Alltagsnahe Sequenzen von wenigen Minuten werden häufiger praktiziert als lange, seltene Einheiten. Parallel hilft eine realistische Tagesplanung, Reizdichte und Erholung zu balancieren.
Körperliche Aktivität steigert die Freisetzung von BDNF, verbessert die Durchblutung des Gehirns und fördert die Neuroplastizität. Ziel sind pro Woche mindestens 150 Minuten moderate Aktivität oder 75 Minuten intensivere Einheiten, ergänzt um muskelkräftigende Übungen. Bereits zügiges Gehen, Treppensteigen und leichte Intervallabschnitte setzen wirksame Reize. Wichtig bleibt Regelmässigkeit, nicht Spitzenleistung. Abwechselnde Belastungen mindern Monotonie und unterstützen die Nachhaltigkeit.
Auch die Ernährung spielt eine Schlüsselrolle. Sie stützt sich auf Gemüse, Früchte, Hülsenfrüchte, Vollkorn und hochwertige Fette. Diese Kombination liefert Ballaststoffe, Vitamine und Spurenelemente, die an Energiegewinnung und Zellschutz beteiligt sind. Eine ausreichende Trinkmenge verteilt über den Tag stabilisiert Konzentration und Kreislauf. Umgekehrt können stark verarbeitete Lebensmittel, übermässiger Zucker und künstliche Zusatzstoffe die Symptome verstärken. Sanfte Kochmethoden und wenig hochverarbeitete Produkte begrenzen unnötige Zusatzstoffe. In der Summe entsteht ein ruhiges, tragfähiges Muster.
Wertvolle bioaktive Stoffgruppen – im Überblick
Ergothionein
Ergothionein ist ein schwefelhaltiges Antioxidans, das in Laboruntersuchungen als sogenannter Radikalfänger beschrieben wird – eine Substanz, die reaktive Sauerstoffverbindungen neutralisieren kann. In diesen experimentellen Studien fanden sich Hinweise auf einen möglichen Schutz zellulärer Strukturen vor oxidativem Stress. Ob und wie stark dieser Effekt beim Menschen greift, ist noch nicht endgültig geklärt. Natürliche Quellen sind ausgewählte Lebensmittel, darunter verschiedene Speisepilze wie Hericium erinaceus (Igelstachelbart), teils fermentierte Produkte sowie – je nach Ernährungsweise – auch Bohnen und Innereien.
Beta-Glucane
Beta-Glucane sind Polysaccharide, also langkettige Zucker, die in den Zellwänden von Pflanzen und Pilzen vorkommen. Als lösliche Ballaststoffe können sie Wasser binden und dienen im Darm bestimmten Bakterien als Nahrungsquelle, wodurch kurzkettige Fettsäuren entstehen. In wissenschaftlichen Untersuchungen wird beschrieben, dass Beta-Glucane zu den Stoffen gehören, die das Immunsystem ansprechen und dessen Balance unterstützen können. Diese Beobachtungen werden in der Forschung im Zusammenhang mit der Regulation von Entzündungsprozessen diskutiert, wobei noch weitere klinische Studien notwendig sind. Natürliche Quellen sind Hafer und Gerste; Beta-Glucane kommen auch in Pilzen wie Ganoderma lucidum (Reishi), Lentinula edodes, Agaricus blazei und Hericium erinaceus vor.
Triterpene
Triterpene sind Naturverbindungen, die Pflanzen, Kräutern und Pilzen Struktur und Abwehr verleihen. In Labor- und biochemischen Modellen wurden antioxidative und entzündungsmodulierende Eigenschaften beobachtet, deren Relevanz für den Menschen noch weiter untersucht werden muss. Beispiele für natürliche Quellen in der Ernährung sind Oliven, Traubenschalen sowie Birkenrinde, die auch in der traditionellen Nutzung eine Rolle spielen.
Polysaccharide
Polysaccharide sind komplexe Kohlenhydrate, die in Pflanzen und Pilzen als Energiespeicher und Strukturmaterial dienen. Sie können bestimmten Darmbakterien als Nahrungsquelle dienen. In wissenschaftlichen Untersuchungen, vor allem in präklinischen und Beobachtungsstudien, werden sie als mögliche Einflussfaktoren auf die Vielfalt der Darmflora beschrieben. Ob diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, wird weiterhin erforscht. Polysaccharide finden sich reichlich in Hülsenfrüchten, Vollkorngetreide, Gemüse und verschiedenen traditionell genutzten Speise- und Kulturpilzen.
Hericenone und Erinacine
Hericenone und Erinacine sind besondere Inhaltsstoffe aus dem Pilz Hericium erinaceus (Igelstachelbart). Sie stehen im Zusammenhang mit dem Nervenwachstumsfaktor NGF, einem Protein, das für die Reifung und Vernetzung von Nervenzellen wichtig ist. Bisherige Erkenntnisse stammen vor allem aus Labor- und biochemischen Untersuchungen. Ob und in welchem Mass sich diese Beobachtungen auch beim Menschen zeigen, ist noch offen. Hericenone finden sich vor allem im Fruchtkörper, während Erinacine vorwiegend im Myzel vorkommen.
Ruhiger Rahmen, klare Prioritäten
ADHS mit begleitenden depressiven Verstimmungen ist eine komplexe Thematik, bei der medizinische, psychologische und ernährungsbezogene Faktoren ineinandergreifen.
Eine strukturierte Lebensführung, ein stabiler Schlafrhythmus, ein ausgewogenes Stressmanagement, regelmässige Bewegung und eine nährstoffreiche Ernährung werden in der Forschung als unterstützende Rahmenbedingungen beschrieben. Weitere fachliche Informationen finden Sie beim Fachverein Vitalpilzkunde.
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